Wahrhaft „Ein toller Tag“

„Figaros Hochzeit“ im Barmer Opernhaus

von Johannes Vesper

Ensemble - Foto © Bettina Stöß


Grafenmacht, Erotik, Sex, enttäuschte Liebe im Barmer Opernhaus.
Wahrhaft „Ein toller Tag“
 
„Figaros Hochzeit“ dreimal im Barmer Opernhaus
 
Von Johannes Vesper
 
Dieser „Figaro“ ist nach „Luise Miller“ von Giuseppe Verdi die zweite Kooperation im Barmer Opernhaus mit der English National Opera (London) und eine nur leicht geänderte Wiederauflage der Produktion von 2018.
Schon bei der Ouvertüre mit den vier syn- oder asynchron auf- und zuklappenden Türen der Rückwand des quer über ganze Bühne gelagerten, weißen Raums kündigt sich das emotionale Chaos an, wenn in ihnen Susanna, der Graf, Figaro, alle handelnden Personen der Oper auftauchen. Der Zuhörer rückt bei dem affenartigen Tempo des Beginns sogleich auf die Sesselvorderkante. Die Türen erweisen sich als tragend im Regiekonzept. Hinter der offenstehenden versteckt man sich, hinter der geschlossenen verschwindet man, und durch die Türen tritt man auf. Durch die Türen ist in diesem elektrisch-erotischem Feld quasi jeder mit jeder bzw. alle mit allen verschränkt. Mit Auftritt der Gräfin fährt der Raum entsprechend der gesellschaftlichen Stellung hoch, während das mindere Personal darunter im Hintergrund im Halbdunkel sichtbar wird. Dort wir auch Cherubino nach seinem Fenstersprung auf eigens herangeschafftem, riesigem blauem Luftkissen landen. Dieses Bühnenbild von Johannes Schütz, der im November 2022 mit dem Kunstpreis des Landes NRW geehrt wurde, lenkt in seiner unkomplizierten Einfachheit die Aufmerksamkeit auf die Konflikte der Charaktere des Musiktheaters.
 

Ensemble - Foto © Bettina Stöß

Nach dem Figaro (Sebastian Campione) endlich verstanden hat,  daß der Graf zwar auf sein feudales „Recht der ersten Nacht“ offiziell verzichtet hat, es aber über die Hintertreppe doch wahrnehmen will und seiner Susanna nachstellt, lenkte er mit elegantem Baß und souveränem Spiel die Intrigen. Susanna ist mit der spielerisch wie gesanglich wunderbaren Ralitsa Ralinova ideal besetzt. Der MeToo-Typ Graf Almaviva (Simon Stricker) beherrscht im Stück mit seinem klangvollen Bariton zwar nicht die Frauen aber stets die Bühne. Marie Sojer singt wunderbar und überzeugt als testosterongetränkter Cherubino vollständig nicht nur das Publikum. Auf der Bühne umgarnt ihn das weibliche Küchenpersonal und unter seinem selbst gedichteten Ständchen schmelzen Susanna und die Gräfin zu Recht dahin und beginnen mit den Hüften zu wiegen. Musikalisch blitzsauber und mit großem Ausdruck kommen die Ensembles über die Rampe. Das Orchester spielt unter der sorgfältigen wie inspirierenden Stabführung Patrick Hahns mozartisch leicht, elastisch und ausdrucksvoll. Da fallen ganz wenige kleinste Unsauberkeiten des Blechs nicht auf. Der Chor (Einstudierung Ulrich Zippelius) fügte sich sicher in Szene und Musik ein. Die aufgeregte Psyche der Beteiligten während der Rezitative stimulierte Immanuel Karle zusätzlich mit seiner lebhaft improvisierten Cembalobegleitung. Nach der Pause jagt ein musikalischer Höhepunkt den anderen, immer wieder gab es Sonderapplaus für alle Solisten. Unter deren Glanzleistungen ging die Melancholie der Gräfin („Wohin ist die süße Liebe geschwunden…“) besonders zu Herzen. Da kam der gesamte Chor und hörte ergriffen der Gastsängerin Réka Kristóf zu, der man die vorher angekündigte stimmliche Indisposition am Abend kaum angemerkt hat. Problematische Paarbeziehungen sind eben kein Problem allein der Upper Class. „Ein verlobtes Paar, das sich gegenseitig mißtraut, ein länger verheiratetes, das nicht mehr die früheres Leidenschaft füreinander empfindet, diverse Charaktere, die auf der Suche nach einem Abenteuer sind“ so faßt der britische Regisseur Joe Hill-Gibbins das auch nach 240 Jahren immer aktuelle Geschehen zusammen. Auch Marcellina (die hier bekannte Joslyn Rechter) mit ihrem Hang zu jüngeren Männern und Basilio / Curzio (Mark Bowman-Hester) fügen sich makellos in das Ensemble ein und entpuppen sich zuletzt als Eltern des Figaro.


Ensemble - Foto © Bettina Stöß

Mozart bringt in diesem Musiktheater das Innere der singend handelnden Personen, ihre Seele, ihre Empfindungen, ihre Erotik zu Gehör und auf die Bühne. Wie im wahren Leben werden die Untreue der Frauen und die Schlechtigkeit der Männer beklagt, geht es um unübersichtliche, amouröse, amüsante Verhältnisse. Am Ende erkennt der Graf, als er Susanna verführen will,  daß seine Frau in deren Kleidern steckt, während Figaro sich eine Ohrfeige einfängt, als er die Gräfin heiß umwirbt, hinter der sich aber tatsächlich Susanna verbirgt. „Verblendung, Verwirrung, ist´s Wahrheit, ist´s Schein“ fragten sich alle und die Gräfin verzeiht „mit neuer Weisheit“ ihrem Mann. Die Bärinnen sind gezähmt und Figaro hat alle dämlichen Ehemänner gerächt. Ein großer Opernabend, musikalisch vom gesamten Ensemble glänzend dargeboten, mit komödiantischem Humor und stimmiger Personenregie inszeniert wurde vom begeisterten Publikum mit großem Applaus, Pfiffen und Bravi gefeiert.
 
Die Hochzeit des Figaro (Aufführung 31. 3.2023)
Komische Oper in vier Akten von Wolfgang Amadeus Mozart. Libretto von Lorenzo da Ponte nach ›Der tolle Tag‹ von Pierre Augustin Caron de Beaumarchais. In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln. Eine Koproduktion der Oper Wuppertal mit der English National Opera/London.
Musikalische Leitung: Patrick Hahn -  Inszenierung: Joe Hill-Gibbins -  Bühne: Johannes Schütz - Kostüme: Astrid Klein - Choreographie: Jenny Ogilvie -  Choreinstudierung: Ulrich Zippelius -  Dramaturgie: David Greiner, Marc von Reth
Besetzung: Graf Almaviva: Simon Stricker - Gräfin Almaviva: Réka Kristóf - Susanna: Ralitsa Ralinova - Figaro: Sebastian Campione - Cherubino: Iris Marie Sojer - Marcellina: Joslyn Rechter - Basilio/Curzio: Mark Bowman-Hester - Bartolo: Nicolai Karnolsky - Antonio: Yisae Choi - Barbarina: Margot Genet - Zwei Mädchen (1): Tanja Ball / Hong-Ae Kim. Zwei Mädchen (2): Ute Elisabeth Temizel / Katharina Greiss. Opernchor der Wuppertaler Bühnen. Sinfonieorchester Wuppertal
Zum letzten Mal: Sa. 22. April 2023 - 19:30 Uhr - Opernhaus. Weitere Informationen: https://www.oper-wuppertal.de/